Während der Stammzelltransplantation
Ich schrieb ja bereits, dass die Patienteninformationsbroschüre bei mir leichte Panikattacken ausgelöst hatte. Damit meine ich vor allem Sätze und Satzteile wie „abwaschbare Hausschuhe“, „die Kleidung soll nicht länger als 24 Stunden getragen werden“ und „die mitgebrachten Dinge (z.B. Computer, Handy, CD-Player – SO) werden durch Wischdesinfektion gesäubert“. Zwar hatte ich vorher schon jede Menge Wäsche, bequeme T-Shirts usw. möglichst billig gekauft; aber nun hatte ich das Gefühl, ich bräuchte noch mehr Leggings, Kopftücher für die „Glatzen-Phase“ …. Also verbrachte ich den Sonnabend vor der Einweisung mit Shopping. Preiswert, versteht sich.
Im Krankenhaus nahm ich dann einmal wöchentlich den externen Wäscheservice in Anspruch; in der Regel rief ich selbst an; die Wäsche wurde am nächsten Tag abgeholt und am übernächsten gegen Bezahlung wieder gebracht. Zwar waren nicht alle Teile wirklich trocknerbeständig, aber alle haben es überlebt.
Die Drohung mit der Wischdesinfektion wurde übrigens wahrgemacht, und das täglich. Meine elektronischen Geräte haben es zu meiner Verwunderung auch überstanden.
8.02.2011 – Tag – 10 (minus 10)
Ich sollte erst gegen 13 Uhr auf Station sein, also packte ich vormittags zu Ende und wartete auf meinen Mann, der mich fahren wollte. Von den Kindern hatte ich mich vor der Schule verabschiedet. Ich sollte sie in dieser Woche noch einmal kurz sehen und danach 5 Wochen nicht mehr ….
Unter anderem nahm ich Strickzeug, einen äußerst packenden Thriller und einen Spanisch-Kurs mit. Letzterer aber nützte mir nichts, denn mein Netbook hat kein CD-ROM-Laufwerk.
Pünktlich meldete ich mich im Mildred-Scheel-Haus auf der Station MK1-ITS bei der Stationsschwester und wurde zunächst mit Einweisung und Versichertenkarte zur zentralen Patientenaufnahme geschickt. Es folgten die obligatorische Blutentnahme durch MM. und ein langes Aufklärungsgespräch durch St. R. Dann wurde ich gewissermaßen vom Oberarzt willkommen geheißen. Ich führte viele Telefonate und befasste mich mit einem Haufen auszufüllender Papiere. Da wurde dann auch mal nach Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gefragt. Ich habe mir Muster ausdrucken lassen, aber nie ausgefüllt.
Das Zimmer war größer als andere KH-Zimmer; es war für zwei Patienten ausgelegt, aber ich „bewohnte“ es allein. Der Einbauschrank ist eher zum Hängen als mit Ablagen ausgestattet. Der Mantel und die Schuhe bleiben allerdings in einem Vorraum vor dem Zimmer. Es gibt einen geschwungenen Tisch, einen an der Wand gegenüber dem Bett hängenden Fernseher und ein Fahrradergometer. Das hochwertige Bett kann der Patient sich selbst einstellen, und natürlich gibt es den obligatorischen Nachtschrank.
Eine besondere Klimaanlage läuft 24 Stunden; tagsüber fällt das gar nicht so auf, nachts erscheint es lauter. Eine Art Absaugvorrichtung für die Zimmerluft befindet sich direkt über dem Bett. Zwischen Bett und Schrank ist viel Platz, um eine Vorrichtung zur Befestigung der vielen Infusionsgeräte anzubringen. In der Spitzenzeit hatte ich wie viele Geräte? – ich weiß es nicht mehr, aber nachts leuchteten die grünen und roten Lämpchen wie eine Lichtorgel die gegenüberliegende Wand an.
Ich versuchte gleich vom ersten Tag an, die äußerst strengen Hygiene-Richtlinien der Station einzuhalten, als da z. B. wären: 2x täglich duschen oder waschen, Verwendung von Einweg-Handschuhen zum Toilettengang, zusätzliche Händedesinfektion nach dem Händewaschen, Nachspülen des Mundes mit Kräutertees nach dem Zähneputzen, Mucositis-Prophylaxe ….
9.02. – Tag -9
Ich gab die üblichen Proben ab und bereitete mich „seelisch und moralisch“ auf das Legen des zentralen Venenkatheders (ZVK) vor. Dabei sollte auch gleich noch eine Knochenmarkpunktion (KMP) gemacht werden. Ich würde dabei schlafen. Jedenfalls hielt ich Dormicum für ein Schlafmittel, solange bis ich aufgeklärt wurde und auch nachlas, dass es sich um ein Psychopharmakon handelt, nach dessen Einnahme man einfach keine Erinnerung an den Wirkzeitraum hat.
Auch später, nach der SZT, fand ich es besser, wenn ich anlässlich bestimmter Untersuchungen wie Magen- oder Darmspiegelung nicht allzu viel davon mitbekam. Ich hatte zwar einiges mitgemacht, war in gewisser Weise auch unerschrocken, aber in anderer Hinsicht trotzdem ängstlich und nicht allzu sehr belastbar.
Ich soll mich gut mit MM während des Eingriffs, der unter Ultraschall erfolgte, unterhalten haben. Worüber hat man mir nicht verraten.
Nachdem ich wieder „aufgewacht“ war bzw. mich in einer Art Halbschlaf befand, tauchte eine Radiologin mit einem mobilen Röntgengerät an meinem Bett auf. Sie überprüfte den Sitz des ZVK und gab ihn frei.
Also wurde ich zur Lungenfunktionsprüfung (LuFu) gefahren, wo ich „mit Handschlag“ begrüßt wurde, denn innerhalb eines reichlichen Monats war ich bereits zum dritten Mal da. Der ZVK befand sich unter meinem rechten Schlüsselbein, und dafür, dass ich aufgrund von Schmerzen nicht optimal mitmachen konnte, schaffte ich doch den Test ganz gut.
Über den ZVK hatte ich vorher bei Wikipedia und im Aufklärungsbogen nachgelesen. Was ich aber überlesen haben muss: Um ihn möglichst keimfrei zu halten, muss er im Grunde rund um die Uhr gespült werden. Ich bekam also wenigstens 2l Infusionen (Elektrolyte) zu meiner täglichen Trinkmenge zusätzlich, intravenös. Sie liefen bis in die Nacht- oder frühen Morgenstunden. Als ich das begriff, musste ich mich erst einmal etwas abreagieren. Ich ahnte, dass ich Schlafprobleme bekommen würde. Schlafmittel (außer mal Baldrian zur Beruhigung) habe ich trotzdem nie genommen; an so etwas wollte ich mich nicht gewöhnen. Ich bin eben mit einer Schlafstörung entlassen worden, die ich nur mit viel Geduld wieder loswurde. Dazu später mehr.
Der Katheder war dreizügig, mit den angeschlossenen Zuleitungen konnte ich mich im ganzen Zimmer bis zur ersten Tür und im Bad frei bewegen. In den Vorraum schaffte ich es nicht mehr. Ich konnte sogar Fahrradergometer damit fahren, sofern ich nur „Wässerung“ bekam. Trotz Einweisung schaffte ich es wenigstens zweimal, mich in den Zuleitungsschläuchen zu verheddern, so dass die Infusionsgeräte Daueralarm tätigten.
Am 09.02.2011 21:59, schrieb SO:
Hallo, Ihr Lieben, hallo,
Leute, ich bin ganz froh, dass ich meinen Surf-Stick zum Laufen gebracht habe, denn so was hatte ich noch nicht.
Da es jetzt schon spät ist und ich morgen zeitig aufstehen muss, hier nur eine ganz kurze Info-Mail: Ich bin seit gestern im Uniklinikum (Medak), liege im Haus 66 "c". Meine Telefonkarte lautet auf 0351/458 77845. Ich lauf Euch hier so schnell nicht davon. Ein Spaziergang ist es nicht, aber - alternativlos.
Würde mich über Rückmeldungen von Euch sehr freuen.
Liebe Grüße, Eure Silke
10.02. – Tag -8
Außer der OA-Visite passierte nichts; ich hatte zunächst auch keine weiteren Voruntersuchungen. Also ging ich vor- und nachmittags draußen spazieren. Da die Chemo noch nicht begonnen hatte, musste ich noch keine Baumwollhandschuhe und Mundschutz tragen.
Ich habe mir leider nicht notiert, wann es bei mir losging; aber wochentags wird großer Wert darauf gelegt, dass die Patienten ihre Physiotherapie-Zeiten einhielten. Und der „Einzelunterricht“ war gut. An den Wochenenden wurden wir angehalten, wenigstens Fahrrad zu fahren oder zu steppen.
Am 10.02.2011 12:47, schrieb SO:
Hallo, Herr Dr. M.,
wollen Sie überhaupt, dass ich schreibe? Sehr spannend ist es nun wirklich nicht; ich habe schon nach zwei Tagen trotz KMP und ZVK den Lagerkoller. (…) Ich würde nur ungern Ihr Postfach mit für Sie weniger wichtigen Spams blockieren.
VG, SO
Am 10.02.2011 20:11, schrieb SO:
Hallo,
also das WE wird bestimmt sterbenslangweilig, meine engere Family geht sicher einkaufen usw. Allerdings startet am Samstag meine Chemo; ich kenne aber das Mittel schon, habe es schon bekommen und werde mal meinen Onkologen fragen, wie stark die Dosis ist.
VG, Silke
Am 10.02.2011 20:44, schrieb Silke O:
Hallo, Herr Dr. M.,
… Heute teilte mir der OA mit, dass die Leukämiezellen nach der 4. Chemo noch mehr zurückgegangen sind; dann hat der ganze Stress sich wenigstens gelohnt.
In diesem Zusammenhang eine Frage: Ich werde an den Tagen -3 und -2 je viermal Busulfan als Tablette kriegen und an den Tagen -6 bis -2 Fludarabin. Sind 30 mg/qm (Eff. W. 55/Grp. K - was auch immer das in der Klammer heißt) mehr, weniger oder genau so viel wie ich bisher bekommen habe? ...
VG, SO
11.02. – Tag -7
Angekündigt war ein Ultraschall der Lymphknoten; stattdessen fuhr man mich zum EKG mit Herzecho. Ich begann damit, vier verschiedene vorbeugende Tabletten einzunehmen und bekam den ganzen Tag Elektrolyte.
12.02. – Tag -6
Zum Frühstück bekam ich gefühlte 7-8 Tabletten; allerdings waren da die Schilddrüsen- und die Blutdrucktablette mit dabei. Ich trieb etwas Sport. Da Sonnabend war, konnte die Visite erst gegen 15.30 Uhr stattfinden. Ich bekam Besuch, und die Chemo startete mit Fludarabin.
Am 13.02.2011 10:36, schrieb SO:
Hallo, Herr Dr. M.,
da es gerade sehr ruhig ist, nutze ich die Gelegenheit, Ihnen wieder einmal zu schreiben.
Voruntersuchungen hatte ich kaum, bis auf die Punktion, die LuFu und am Freitag noch ein Herzecho mit EKG. … Am Montag muss ich noch zum Ultraschall; ich hoffe, nicht früh und nüchtern.
Heute früh bei der Visite habe ich gefragt, ob ich auch in Bezug auf das Busulfan eine niedrige Dosis bekomme. Das Protokoll für die Hochdosistherapie sieht wohl 16 mg vor; ich bekomme 8. Aber ist 8x4x2(Tage) viel? Haben Sie CML-Patienten, die mit Busulfan behandelt werden? Liest man den Wikipedia-Eintrag, dann ist das schon ein bisschen verstörend. (Bei den Zahlen habe ich mich versehen – Entschuldigung, SO). …
Weil die Chemo gestern anfing, fing die Schwester meinen Mann mit den Kindern ab und erklärte ihm, dass von nun an Kinder unter 14 Jahren, also alle drei, nicht mehr zu mir dürfen. Ich versuchte ihr noch zu erklären, dass das mit dem OA und der Stationsschwester anders besprochen worden sei; auch steht in der Mappe "Kinder ab 8 Jahren nach Rücksprache mit dem Arzt". Sie schickte mir die diensthabende Ärztin. Diese sagte mir sehr freundlich, dass ich im Prinzip recht hätte, aber … Dann gab die Ärztin mir zu verstehen, dass es zwar diese Lockerung gibt, dass es aber weniger risikoreich und daher unkomplizierter wäre, wenn Kinder eben doch nicht kämen; man müsste sonst permanent überwachen, welche Viren gerade in den Gemeinschaftseinrichtungen rumgehen. Das kann ich von meinen Angehörigen nicht auch noch verlangen; also skype ich fortan nur noch mit ihnen. … Bitte entschuldigen Sie, dass es schon mehr ein Brief als eine Mail geworden ist.
VG, SO
13.02. – Tag -5
Diesmal war unsere Station früh mit der Visite dran. Die Chemo ging weiter und ich bekam Besuch. Die Anzahl der Besuche relativierte sich im weiteren Verlauf etwas.
Die Kinder fanden es dann nervig zu skypen, u.a. auch weil mein Netbook mal wieder zu langsam war. Aber auch am Telefon hatte insbesondere ich ihnen nicht jedes Mal sonderlich viel zu sagen; von dem medizinischen Zeugs verstanden sie nichts, und sonst erlebte ich ja nicht wirklich viel.
Meine Schwester fand sich an diesem Sonntag erstmals auf Station zum Spritzen ein. Ich fand es auch besser sich von Fachkräften spritzen zu lassen. Sie sollte möglichst einen 12-Stunden-Rhythmus einhalten.
Als mögliche Nebenwirkungen werden im Allgemeinen grippeähnliche Symptome genannt. Nach dem ersten Spritzen erlitt sie einen Migräneanfall. Dieser wurde, wie wir annehmen durch die Wachstumsfaktoren, die ganze Zeit bis zur Apherese auf hohem Niveau aufrechterhalten. Mein Mann fuhr sie möglichst durchgängig, damit sie sich sicherer fühlte und nicht aufgab …
14.02. – Tag -4
Ich bekam den dritten Tag Fludarabin. Und ich merkte endlich, dass es am besten war, sich am Tag des Systemwechsels die Haare zu waschen, solange man noch welche hatte. Systemwechsel bedeutet, dass alle austauschbaren Teile am ZVK erneuert werden und selbiger noch gründlicher gereinigt wird als an den anderen Tagen. Also machte es nicht so viel aus, wenn beim Duschen trotz aller Vorsicht ein paar Spritzer drauffielen.
15.02. – Tag -3
Früh um sechs musste ich das erste Mal das Busulfan nehmen und bekam wegen Krämpfen als mögliche Nebenwirkung eine halbe Faustan dazu. Faustan gab es zu DDR-Zeiten z. B. bei Überfunktionskrisen der Schilddrüse. Also war ich von Montag bis Mittwoch außerordentlich ruhig, obwohl ich mir wegen meiner Schwester, also streng genommen wegen uns beiden, große Sorgen machte. Busulfan gab es dann noch mal um 12, 18 und 24 Uhr an drei Tagen hintereinander. Dass das Pflegepersonal dabei extra Schutzkleidung trug, sorgte bei mir nicht für Beruhigung. (Anmerkung: Wie ich zufällig mitbekam, wird neuerdings auch mit Fludarabin/Treosulfan konditioniert. Treosulfan soll ebenfalls hochwirksam, aber nicht so toxisch wie Busulfan sein.)
Wegen der o. g. Möglichkeit des Auftretens von Krämpfen durfte ich die Station an diesen Tagen nicht verlassen. Außerdem musste ich wieder einmal eine starke Verstopfung loswerden. Verzweifelt probierte ich mehrere Mittel.
Am 15.02.2011 20:44, schrieb SO:
Hallo, S,
vielen Dank für Eure Mail …
Ich hab ungefähr diese erste Woche gebraucht, um mich hier "einzuleben". Langsam geht es.
Ich denke immer nur in kleinen Etappen, z. B. erste drei Tage nur ein Chemopräparat, das ich kenne ("is ja lächerlich"), nächste zwei Tage, sprich heute und morgen, ein neues hochgiftiges, aber auch nicht so hoch dosiertes dazu. Dann am DO ein Ruhetag, an dem M. erstmals spendet; am Freitag die Transpla usw.
Meine Schwester sehe ich jetzt so oft wie sonst nie; jeden Tag kommt sie zweimal hierher um sich spritzen zu lassen. J. fährt sie teilweise; die Nebenwirkungen empfindet sie als so stark, dass sie schon geäußert hat, vielleicht hätte sie lieber Knochenmark spenden sollen. …
Das soll es erst einmal als kurzer Zwischenbericht gewesen sein; bis bald, evtl. wenn Ihr wieder daheim seid.
LG, Silke
Am 15.02.2011 20:47, schrieb SO:
Hallo, Herr Dr. M., …
ein Detail zu meiner letzten Mail möchte ich aber noch richtigstellen: Keine Ahnung, ob ich es falsch verstanden habe, aber ich bekomme natürlich 65 mg Busulfan als Einzeldosis. …
SvO
Aber bei CML wurde Busulfan wohl schon seit längerem (oder seit Clivec?) nicht mehr eingesetzt ….
Am 16.02.2011 12:47, schrieb SO:
Hallo, Herr Dr. M.,
vielen Dank für Ihre Mail. …
Ich habe es (Busulfan) natürlich gegoogelt, bin bei Wikipedia gelandet, was mir immer am seriösesten erscheint. Wegen möglicher Krämpfe mache ich mir gar keine Sorgen, hab es ja schon fast hinter mir. Nicht lustig fand ich, dass als häufigster möglicher Sekundärkrebs ausgerechnet akute Leukämie genannt wird, aber gut. Richtig erschreckt aber hat mich die Bemerkung, dass eine mögliche sehr seltene (heißt was?) Nebenwirkung eine Lungenfibrose ist. Diese kann auch erst bis zu 10 Jahren nach Gabe von B. auftreten. Klang nicht sehr erbaulich.
Dann doch "nur" viele Grüße, SvO
In seiner Antwortmail meinte mein Arzt, ich hätte hinsichtlich medizinischer Seltenheiten schon bei der CLL kräftig Pech gehabt, so dass nur zu hoffen ist, dass ich von anderen Raritäten verschont bleibe.
16.02. – Tag -2
Meiner Schwester ging es sehr schlecht. Abends auf Station brach sie in Tränen aus. Bloß gut, dass ich Faustan nahm. Durchtherapiert, und plötzlich ohne Spender dastehend? Und nur gut, dass mein Mann sie fuhr.
Man hatte ihr gesagt, sie dürfe Summatriptan gegen die Migräne nehmen, aber sie fühlte sich zu elend, um zum Arzt zu laufen. Außerdem kannte sie selbst das Medikament noch nicht so gut. Also hob sie sich die Notfalldosis, die sie noch hatte, für die Apherese am nächsten Tag auf. Da sie dann auch nicht mehr spritzen musste, ging es ihr ziemlich schnell besser.
17.02. – Tag -1
Wieder brachte mein Mann meine Schwester ins Krankenhaus, und sie ging zur mehrstündigen Apherese. Ich bekam eine Einweisung für die Anwendung des Ciclosporin (Sandimmunsaft). Zur OA-Visite erschien außer selbigem u. a. auch Prof. B, und ich fragte, ob ich in die Apherese laufen dürfte.
Also stapfte ich dahin und „erschreckte“ alle mit Mundschutz und Handschuhen. Da es ohnehin nur bei Familienangehörigen denkbar ist, dass der Empfänger den Spender in der Apherese besucht, kommt das sicherlich höchst selten vor. Man sagte mir, dass unheimlich viele Stammzellen vorhanden seien. Meine Schwester und ich führen das auf das disziplinierte und fachmännisch ausgeführte Spritzen zurück. Zurück auf Station erzählte ich gleich dem Professor davon und fragte, ob da gleich eine zweite „Ration“ eingefroren werden würde, was dann tatsächlich geschah.
Am 17.02.2011 13:51, schrieb SO:
Hallo, Ihr Lieben,
ein weiterer wichtiger Meilenstein ist genommen: Meine Schwester hat heute gespendet; sie hatte eine hohe Stammzellenkonzentration. So muss sie nicht noch mal ran und man könnte sogar für Notfälle, z. B. wenn das neue Knochenmark beim ersten Mal nicht anwächst, eine Vorratsration einfrieren. (Man vergebe mir, wenn ich mich unwissenschaftlich ausdrücke). Das hatte sie sich teuer erkauft, denn sie litt, während sie sich zur Vorbehandlung spritzen ließ und auch heute noch, unter einer Migräne, die "sich gewaschen" hatte.
Ich habe die fünftägige Chemovorbehandlung, ohne Bestrahlung, auch tapfer über mich ergehen lassen, aber das war keine große Kunst, denn die Nebenwirkungen kommen erfahrungsgemäß immer zeitversetzt. Die größten Eingriffe bei mir hier auf Station waren bisher eine Knochenmarkpunktion (Achtung: das ist keine Rückenmarkspunktion!) und das Setzen eines sog. zentralen Venenkatheders. Der ist beim Duschen und (Noch-)Haarewaschen ein wenig hinderlich und muss eigentlich ständig durchspült werden, aber man kann prima Blut draus entnehmen und alles Mögliche in mich hineinleiten, also Chemos, Stammzellen, Bluttransfusionen, Elektrolyte oder einfach auch nur Kochsalzlösung. So schone ich meine Venen für die Zeit, wenn ich nicht mehr stationär liege.
Morgen bekomme ich die Spende, aber da ist (noch) nichts Mystisches; das wird eher wie eine Bluttransfusion sein. Richtig interessant wird es rund 10 Tage später, wenn wahrscheinlich alles zusammenkommt: Nebenwirkungen a) der Chemo und b) der Transplantation und, was das wichtigste überhaupt ist, die bange Frage, ob das neue Knochenmark angewachsen ist und anfängt zu arbeiten, d.h. gesunde Blut(vorläufer)zellen zu produzieren und restliche Leukämiezellen zu bekämpfen.
Ich denke jeweils nur in diesen Etappen und so werde ich Euch auch weiterhin informieren.
Bis dahin viele liebe Grüße von Eurer Silke
18.02. – Tag 0
Das würde nun mein großer Tag werden. Inzwischen hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt, dass die Transplantation an einem Freitag stattfinden würde, d. h. unmittelbar vor dem Wochenende. Die Nachwirkungen der Chemo und der Transplantation würden nicht unmittelbar, sondern – falls überhaupt - zeitversetzt eintreten. Die Transplantation war für Mittag angekündigt. Zunächst fühlte ich mich schläfrig, unwohl, schwindlig. Auch auf das (meist leckere) Mittagessen verspürte ich keinen Appetit.
Meine Schwester wollte bei der Transplantation dabei sein. Das gab der Sache einen feierlichen Anstrich. Wie erwartet wirkte es auf mich wie eine Bluttransfusion, und auch ich fühlte mich nach der Spende direkt besser.
Gut fand ich, dass OA Dr. Sch. sich später am Nachmittag noch einmal nach dem Befinden meiner Schwester und von mir erkundigte.
Nun gab es kein Zurück mehr. Nach meinem Verständnis würde ich im hämatologischen Sinne zur Chimäre werden.
19.02. – Tag 1
Die grüne Langeweile breitete sich aus. Neu war, dass ich gegen die Abstoßung zusätzlich MTX (Methotrexat) infundiert bekam, ein schwach (?) dosiertes Zytostatikum und Rheumamittel. Daneben begann ich, den Mund mit einem orangefarbenen Pilzmittel, das wie Kaugummi schmeckt, zu spülen und dieses dann zu schlucken.
Am 20.02.2011 17:06, schrieb SO:
Hallo, M.,
Neben U. hat auch A. mir jetzt mal geschrieben. Aufmunternd, nett, aber nicht ganz verhehlen könnend, dass er von der ganzen Schulmedizin, der ich mich hier unterwerfe, einfach gar nichts hält (Überstehen der Torturen usw.).
Na ja, wenns nichts bringt, denk ich noch mal drüber nach, aber bis dahin hab ich null Bock auf Experimente. …
Silke
21.02. – Tag 3
Ich schwitzte nachts wieder fürchterlich. Pro Nacht verbrauchte ich mehrere sog. Stecklaken, mein eigenes und mehrere von den ziemlich dicken KH-Nachthemden. Zudem drehte und wendete ich dauernd mein Kopfkissen und die Bettdecke. Zur OA-Visite wurde angesprochen, ob ich auf Verdacht ein Hormonpflaster dagegen nehmen sollte. Nach Rücksprache mit der Gynäkologie stellte sich aber heraus, dass die Wirkungen erst nach einer Tragezeit von etwa 4 Wochen eintreten würden. Also konnte ich mir das sparen. Ich hatte diese Probleme noch wochenlang nach dem KH-Aufenthalt. Irgendwann hörte es einfach auf.
Wieder bekam ich MTX.
22.02. – Tag 4
Wohl wegen der Semesterferien nahm Prof B wieder an der Visite teil, welche Ehre! Von dem Pilzmittel hatte ich wohl bisher zu wenig genommen. Daneben musste ich die Mucositis-Vorbeugung weiter durchführen; trotzdem schien die Mucositis langsam loszugehen.
Am 22.02.2011 16:33, schrieb SO:
….. Hier passiert weiterhin nicht viel bis gar nichts, aber alle versprechen mir, dass es ganz bestimmt viel, viel schlimmer wird. Freu ich mich schon drauf; eigentlich hab ichs nämlich lieber kommod (schreibt man das so?).
Immerhin war der Prof, der durchaus beeindruckend und erst 43 ist, schon das zweite Mal zur Visite. Den OA sehe ich ebenso oft. Und der Arzt, mit dem ich es am häufigsten zu tun habe, ist grad erst 30!!! OMG..
VlG, Deine Silke
24.02. – Tag 6
Wieder OA-Visite. Wieder MTX.
Am 24.02.2011 10:22, schrieb SO:
Hallo, Frau F.,
meine Blutwerte sind noch gut, und mir ist wieder mal wie "ausbrechen". Oder mindestens wie frische Luft. Wann würden/könnten Sie denn kommen? Morgen lassen die mich sicher wg Hb nicht mehr raus; Thrombos könnten noch ein bisschen halten.
VG, SvO
Am 24.02.2011 10:36, schrieb SO:
Liebe U.,
vielen Dank für Deine Mail. Könnte gut sein, dass ich bis zum 25. März noch hier bin; darüber hinaus hoffentlich nicht mehr allzu lange. Nur, wenn alles absolut komplikationslos über die Bühne geht (womit aber hier niemand ernstlich rechnet), wäre ich schon so 13. März draußen. Bisher geht es mir noch prima (meine Eltern dachten schon, das wäre es schon gewesen), und ich hoffe, dass Neben- und Auswirkungen mich nur in leichten Graduierungen erwischen.
Ansonsten ist es trotz Beschäftigung, die ich mir reichlich mitgebracht habe, sterbenslangweilig. Aber die wollen mich ja nicht ärgern, sondern es ist für den guten Zweck.
Bis dahin erst mal, vlG Deine Silke
26.02. – Tag 8
Jetzt geht’s los mit Mucositis!!! Mit Schmerzmitteln ist es noch zu ertragen.
27.02. – Tag 9
Die Mucositis wird schlimmer. Falls es schlimmer wird, so wird mir angekündigt, bekomme ich intravenös Opioide. Da ich merke, dass auch meine Haare anfangen auszugehen, lasse ich sie vorsichtshalber abrasieren. Auf meinem Kopfkissen „stachelt“ es in den nächsten Wochen trotzdem; das Gekribbele bürste ich mir mit einer Babybürste weg.
28.02. – Tag 10
Die Mucositis ist unerträglich. Klar, die Mundschleimhaut ist auch betroffen; am schlimmsten aber sind es mein Rachen und meine Kehle. Von nun an kann ich für reichlich eine Woche nichts, aber auch gar nichts mehr schlucken. Maximal spüle ich mir die Zähne nach den Mahlzeiten mit Fencheltee. Meine Mundschleimhaut dagegen produziert unentwegt zähflüssigen Speichel. Ich muss lernen, dass das Waschbecken schnell verstopft wäre, würde ich den gewohnheitsgemäß wie beim Zähneputzen ausspucken. Also treibe ich den Verbrauch der Station an Papp-Nierenschalen in die Höhe.
Das Opioid vertrage ich nicht; ich spucke, bis nur noch Galle kommt. Daher bekomme ich nur noch eine minimale Dosis, dazu viermal am Tag ein anderes Schmerzmittel und etwas gegen die Übelkeit. Von all den Mitteln werde ich so schläfrig, dass ich mich tagsüber permanent im Halbschlaf befinde und nachts wachliege. Da ich also weder essen noch trinken kann, werde ich von nun an auch noch künstlich ernährt.
Da ich nicht mehr sprechen, sondern nur noch lallen kann, stelle ich die Telefonate ein. In dieser Zeit besucht mich nur noch mein Mann über Mittag.
1.03. – Tag 11
MTX – wenn’s sein muss, eben noch mal. Ich fühle mich mittlerweile zu schwach, um allein duschen zu gehen, und da ich ab dem späten Nachmittag stets Schüttelfrost habe, wasche ich mich abends schon mal gar nicht. Also morgens vor dem Waschbecken und im Sitzen. Ein- oder zweimal werde ich auch gewaschen.
Die Physiotherapeuten lassen mich auch in Ruhe. Angesichts meiner Speichelproduktion muss ich nicht einmal Übungen für die Lunge machen. Da ich nachts wieder schwitze, trage ich jeweils nur eine Unterwäschegarnitur 24 Stunden lang.
2.03. – Tag 12
Jetzt erhalte ich ein Antidot gegen das MTX. Nach der Transplantation erhielt ich mehrfach Hämoglobin- und eine Thrombozyten-Transfusion. Das Einzige aber, was mich jetzt interessiert, ist, wie meine Leukos sich entwickeln. Denn es soll besser werden, wenn die Leukos sich erholen.
3.03. – Tag 13
Wieder das Antidot gegen MTX. Da meine Leber „anschlägt“, werden meine Augen gelb. Wird wohl eine Weile andauern.
6.03. – Tag 16
Man verordnet mir Prociclide. Der Einfachheit halber nenn ich es mal „Lebertonikum“. Es handelt sich um ein gerinnungshemmendes Mittel zur besseren Durchblutung aller Leberäderchen.
7.03. – Tag 17
Das „Lebertonikum“ krieg ich noch bis Mittag.
10.03. – Tag 20
Ich habe nachts solch einen Brand – ich halte es nicht mehr aus. Fange, obwohl es noch schmerzt, wieder selbst zu trinken an.
Am 10.03.2011 13:07, schrieb Silke Olnhausen:
Hallo, Freunde,
die vermutlich/hoffentlich 12 grässlichsten Tage dieser ganzen Aktion liegen jetzt wohl hinter mir. Ich hatte eine Mucositis III./IV. Grades und hatte kurzzeitig auch noch mit der Verhinderung tausend kleiner Leberinfarkte durch Gabe entsprechendes "Lebertonikums" zu kämpfen.
Meine Leber wäre wieder bis in die kleinsten Äderchen gut durchblutet; aber die Tränensäcke sind dick geschwollen und gelb und das Bilirubin läuft andauernd raus. Mails lesen und schreiben fällt schwer.
Aber die Mucositis war schlimmer. Gegessen/getrunken habe ich seit 27. Febr. bis heute gar nichts mehr; auch alle Medis gab’s intravenös. Schlucken konnte ich nicht weg der Speiseröhre, aber mein Mund produzierte unermüdlich jede Menge zähflüssigen Schleims. Opioide vertrag ich wohl nicht und musste bis 4x am Tag noch ein anderes Schmerzmittel sowie 3x was gegen die Übelkeit nehmen.
Heute Nacht sagte der Pfleger zu mir (auf die Nette), ob ich nicht lieber mal nachts schlafen will; würde ich ja, aber bei den 4x Schmerzmittel bin ich regelmäßig tagsüber auf dem Bett eingeschlafen. Das musste aufhören!!! Außerdem sagte ich zu ihm, trotz Wässerung hätte ich solch ein Durstgefühl, ich muss mich überwinden! Und die neuen Leukos usw. arbeiten super: Leukos 2,0, Hb 5,9 und die Thrombos ein sagenhafter Wert von 150. Klasse, M.! Jetzt esse ich gecrushtes Eis und schlürf milde Schorle.
Der Prof sagt, wohlmöglich könnte ich schon Mitte nächster Woche entlassen werden!!! Ich bin so froh; nicht, dass ich gleich ans Sterben gedacht habe, aber ich lag da in meinem Dämmerzustand und fragte mich immer: Wann hört das auf? Übermorgen oder später? Und dazu immer die Angst, dass man sich mit den Läsionen irgendwelche tollen Keime zu für eine Lungenentzündung einfängt und dann mal schnell verlegt; sediert, künstlich beatmet und ständig abgesaugt wird…. Obwohl, ständig abgesaugt ... Ich bin froh, dass es vorbei ist; außerdem hätte ich auf eine noch intensivere Intensivstation derselben Klinik verlegt werden müssen.
Soviel erst mal von Eurer lb Silke, der die Augen ständig tränen.
Endlich konnte ich wieder trinken, sporteln, spazieren gehen und zunehmend auch essen. Von intravenöser Medikation wurde ich nach und nach wieder auf Selberschlucken umgestellt.
Am 14.03.2011 11:25, schrieb SO:
Hallo, Freunde,
Zunächst möchte ich mich recht herzlich für die vielen guten Wünsche von Euch bedanken!!!
Die Mucositis ist weiter am Abklingen und das neue Immunsystem arbeitet wirklich auf Hochtouren (Leukos über 4, Hb über 6, Thrombos über 350 (???), wenn ich mich recht erinnere). Es ist sogar so wild, dass es schon wieder ein wenig überschießt: Es versucht grade, Teile meine Haut abzustoßen nach der Devise: Kenn ich nicht, will ich nicht. Dagegen kriege ich Kortison. Trotzdem ist diese leichte sog. GvHD-Reaktion gar nicht ganz unerwünscht: Man nimmt an und hofft, dass das neue Immunsystem in diesem Zuge evtl. doch noch vorhandene restliche Krebszellen restlos ausmerzt.
Außerdem sage ich mir, wenn ich jetzt schon eine leichte GvHD habe, dann wächst sich das vielleicht aus und ich hab später keine, vor allem keine chronische. Demnach hoffe ich, bald entlassen zu werden, wobei der Oberarzt meint, das wird frühestens am Freitag soweit sein. Na, hoffentlich nicht noch ein WE hier!
Bis dahin viele liebe Grüße von Eurer Silke
Der ZVK sollte gezogen und brauchte nicht mehr gespült werden. Von da an bekam ich Probleme mit meinem Nierenwert (Creatinin). Ich schaffe es einfach nicht, täglich bis zu 4 Liter zu trinken. Allerdings bessert der Creatininwert sich regelmäßig, sobald ich ein weiteres Medikament reduzieren oder absetzen darf.
Das Ziehen übernahm eine erfahrene Schwester. Anschließend lag ich noch eine Weile mit einem Sandsack zum Beschweren der Wunde gegen Nachblutungen.
Am 18.03.2011 10:32, schrieb SO:
Liebe Freunde, das hier wird zunächst mal eine Abschiedsmail.
Ich werde heute entlassen; die Werte sind gut, der ZVK ist schon gezogen.
Ich danke Euch allen für Eure rege Anteilnahme und Eure guten Wünsche. Ganz besonders möchte ich bei der Gelegenheit auch mal meine Familie hervorheben, die sich wirklich tapfer geschlagen hat und das wohl auch noch eine Weile lang tun muss.
Ich werde zunächst sehr mit mir selbst beschäftigt sein. Ich fühle mich noch schwach. Auch wird mein Leben zumindest im ersten Jahr, vielleicht noch im zweiten, sehr zurückgezogen sein. So habe ich
z. B. keinerlei Impfschutz mehr, kein MMR, kein Tetanus, nichts; erst in einem Jahr darf ich anfangen, mich wieder immunisieren zu lassen. Der Erfolg der Behandlung und damit schlicht meine
Überlebensaussichten dürfen nicht gefährdet werden.
Trotzdem gehe ich außerordentlich zuversichtlich in die Zukunft.
Noch einmal vielen Dank Euch allen, Eure Silke