Die geschenkte Einsamkeit
Als Pfand für sein Leben verlieh Burkhard S. sein Gesicht. Der Handel erschien ihm vernünftig, seine Lage ließ wenig anderes zu. Es ist jetzt hinter einer hellblauen Maske verborgen. Burkhard S. sitzt Tag für Tag in einem Raum, in den eine Klimaanlage keimfreie Luft säuselt, er sitzt hinter einer Tür, die nie lange geöffnet sein darf, und wenn er anderen Menschen überhaupt die Hand gibt, trägt er dabei weiße Baumwollhandschuhe. "Im Moment sieht alles sehr positiv aus", sagt er. Was Burkhard S. dabei fühlt, sieht man nicht.
Vor zwei Wochen wurden dem 72-Jährigen im Universitätsklinikum Stammzellen transplantiert. Damit sein Körper die neuen Zellen nicht abstößt, haben die Ärzte sein Immunsystem heruntergefahren. Jeder Infekt kann jetzt tödlich sein. S. leidet seit zwei Jahren unter einer Myelodysplasie, kurz MDS. Diese Blutbildungsstörung ist eine mögliche Vorstufe der Leukämie.
Die Stammzellen in Burkhard S.' eigenem Blut sind krank, sein Körper kann aus ihnen keine funktionierenden neuen Blutzellen mehr bilden. Rote und weiße Blutkörperchen, Blutplättchen, all die Bausteine eines funktionierenden Immunsystems sind weitgehend zerstört. Hätte man Burkhard S. nicht behandelt, hätte sich aus seiner Krankheit innerhalb weniger Jahre eine akute Leukämie entwickelt. "Ich hatte die sichere Perspektive, zu sterben", sagt S. Er sitzt am Tisch seines Krankenzimmers und sieht aus dem Fenster auf Schloss Albrechtsberg. An der Wand hinter ihm hängt ein Foto von einem Tiger. "Es ist nicht selbstverständlich, wie aufmerksam ich hier behandelt werde. Ich habe unendliches Vertrauen zu den Ärzten und Schwestern", sagt Burkhard S.
Vor allem ältere Patienten
Das Transplantationszentrum am Uniklinikum ist eines der modernsten und größten weltweit. 200 Patienten werden hier pro Jahr Stammzellen transplantiert, jeden Tag Zellspenden in die ganze Welt verschickt. Noch in den Achtzigern lag die Altersgrenze für Transplantationen bei 30 Jahren. Die Betroffenen vieler Blutbildungsstörungen und Leukämien aber sind weniger Kinder und Jugendliche - sondern überwiegend zwischen 50 und 70 Jahre alt.
Die früheren, viel aggressiveren Behandlungsmethoden hätte Burkhard S. höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Die Geschichte, an deren Ende seine erfolgreiche Behandlung steht, begann mit schimmeligen Wänden und undichten Zimmerdecken. "Man vergisst schnell, unter welchen Bedingungen wir hier angefangen haben", sagt Gerhard Ehninger, Leiter der Medizinischen Klinik 1 und Professor für Hämatologie. Der 58-Jährige hat die Deutsche Knochenmarksspenderdatei (DKMS) mitbegründet. Als er 1994 aus Tübingen an die Elbe kam, musste er vieles improvisieren. Tiefgefrorene Stammzellen wurden damals in einem ehemaligen Tierstall gelagert. Gemeinsam mit jungen Kollegen wie Martin Bornhäuser und Johannes Schetelig schuf Ehninger innerhalb weniger Jahre ein wissenschaftliches Juwel. Heute arbeiten hier 55 Ärzte, die auf eine weltweite Datenbank von 14 Millionen Spendern zurückgreifen. Die Chance, den passenden zu finden, liegt bei etwa 75 Prozent.
Nach drei Stunden ist es vorbei
Die Transplantation selbst ist nicht aufwendiger als eine Blutspende. Das Pflaster an Burkhard S.' Hals zeigt, wo ihm die Ärzte die Spenden-Infusion angelegt haben. Nach drei Stunden war alles vorüber. Dass die Behandlung bisher geglückt ist, bedeutet aber trotzdem nur den ersten Schritt. Ob S. geheilt werden kann, können ihm die Ärzte frühestens in zwei Jahren sagen. Wie geht man mit so einem neuen Leben um? Burkhard S. wirkt ratlos. "Mein Schrebergarten liegt seit zwei Jahren brach", sagt er dann leise und faltet die Hände. Da könne man vielleicht das eine oder andere anpacken. Die feinen Falten um seine Augen schieben sich zusammen. Er lächelt wohl.
Autor: Sebastian Schneider
Veröffentlich in der SZ-Online, sowie der Sächsische Zeitung, Ausgabe vom 26./27. März 2011, S. 18
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